Nach dem Thema Finanzierung, welches Dr. Philip Scherenberg und Verena Lauffs im letzten Beitrag thematisierten, kommt heute ein weiteres Thema zur Sprache, welches vielfach diskutiert wird: Qualität.
Bernd Schüler und Florian Stenzel vom Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften berichten dafür vom zweiten EMBEP-Treffen in Edinburgh, welches vom 25. bis 28.06.2014 statt fand.
Zweites EMBEP-Treffen vom 25. bis 28. Juni 2014 in Edinburgh/ Schottland zum Thema:
„How to develop and run a national quality award scheme for befriending/mentoring programmes“
Ein Bericht von Bernd Schüler und Florian Stenzel
Im Rahmen des European Mentoring and Befriending Exchange Programmes (EMBEP), gefördert durch das „Grundtvig-Programm Lebenslanges Lernen“ der EU, tauschen sich europäische Mentoring- und Patenschaftsorganisationen sowie Dachverbände über einen Zeitraum von zwei Jahren zu verschiedenen Themen an den Standorten der einzelnen Partnerorganisationen aus. Nach einem Auftakttreffen in Berlin mit dem Fokus auf „themenorientiertes Mentoring/ Patenschaften“ wurde das zweite Treffen in Schottland dem Thema Qualität gewidmet.
Zur Bedeutung des Themas Qualität
Qualität ist in der Mentoring- und Patenschaftsarbeit ein ebenso relevantes wie brisantes Thema. Wie die Forschung zeigt, hängt die Zufriedenheit der Beteiligten und die Wirksamkeit der individuellen Unterstützung erheblich auch davon ab, wie die Projekte die Tandem-Beziehung anbahnen und begleiten. Je nachdem, wie viele best practices angewendet werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass langfristig tragende Beziehungen entstehen, in denen auch Schwierigkeiten überwunden werden und die alle Seiten als bereichernd erleben. Bei Vernachlässigung von Qualitätselementen können Paten eher ihre Motivation verlieren und Mentees eher Schaden nehmen. Für alle Beteiligten – für Kinder, Eltern, Freiwillige ebenso wie für KoordinatorInnen, Geldgeber und Öffentlichkeit – ist das Thema Qualität daher ein entscheidender Aspekt. Deshalb spielt dieses Thema auch im Rahmen des EMBEP-Projekts eine zentrale Rolle. Natürlich dienen alle Treffen mit den europäischen Partnern aus Italien, Österreich, Schottland und der Schweiz dem Erfrahrungsaustausch, dem Wissenstransfer und somit auch der gemeinsamen Qualitätsentwicklung. Wie aber die organisatorische Umsetzung und kontinuierliche Absicherung von Qualität konkret gelingen kann, das demonstrierten beim zweiten Treffen Anfang Juni 2014 die schottischen EMBEP-Partner. Das „Scottish Mentoring Network“ und das „Befriending Networks“ haben umfassende Kenntnisse und Erfahrungen dazu. Beide Netzwerke haben bereits Qualitätsstandards definiert und als Dachverband und Serviceeinrichtung ein Verfahren entwickelt, nach dem Mentoring- und Patenschaftsprojekte einen „Quality Award“, eine Art Gütesiegel, erhalten können.
Schottlands Dachorganisationen verleihen einen Quality Award
In Schottland gibt es zwei Dachorganisationen, die beide – wie oben erwähnt – beim Europa-Projekt EMBEP als Partner mitwirken. Beide Dachorganisationen bieten vielfältige Serviceleistungen für ihre zahlreichen Mitgliedsorganisationen an. Die MitarbeiterInnen der beiden Dachverbände kennen sich und kooperieren miteinander, legen allerdings auch auf die Unterschiede ihrer Ansätze „Mentoring“ und „Befriending“ wert. Erstgenannter Ansatz meint Programme mit ausgewiesener Zielorientierung, meistens mit zeitlicher Befristung. Bei „Befriending“ handelt es sich laut englischer Definition hingegen um ein beziehungsorientiertes Modell, das auf längerfristiges Bestehen der Beziehungen abzielt und keine direkte Zielorientierung aufweist. Die Begriffsunterscheidung erinnert an die deutsche Unterscheidung zwischen „Mentoring“ und „Patenschaften“. Beide Organisationen haben zusammengerechnet fünf Vollzeitstellen. Diese betreuen mehr als 500 Projekte und Organisationen in Schottland, einem Land mit rund 5,3 Millionen EinwohnerInnen. Das Angebotsspektrum umfasst Beratung und Schulung von KoordinatorInnen, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Durchführung und Betreuung des Akkreditierungsprozesses für den oben genannten „Quality-Award“. Dieser Akkreditierungsprozess gleicht einem Verfahren, wie es aus Qualitätsmanagementprozessen bekannt ist: Alle Kernprozesse müssen erfüllt und dokumentiert werden. Dabei gibt es Kernprozesse auf organisatorischer Ebene (Risiko-Management, Projektsteuerung, finanzielle Absicherung) und der direkten Arbeitsebene (Zielgruppenansprache, Freiwilligenrekrutierung und -auswahl, Schulung und Training von Freiwilligen, Matching, Kontrolle und Unterstützung der Beziehungen, sowie die Beendigung von Beziehungen). Während des Akkreditierungsprozesses stehen Mitarbeiter der Dachorganisationen den BewerberInnen beratend zur Seite. Es gibt einen ausführlichen Leitfaden, der Punkt für Punkt die erforderlichen Standards erläutert. Am Ende einer erfolgreichen Akkreditierung steht die Vergabe eines „Quality Awards“. Die Awards sind für drei Jahre gültig – vorausgesetzt das Projekt/die Organisation erfährt keine größeren Veränderungen –, danach müssen sich die Organisationen erneut dem Verfahren stellen. Sollte eine Organisation nicht alle Kriterien befriedigend erfüllen, hat diese die Möglichkeit in einer bestimmten Frist mit Hilfe eines ausführlichen Feedbacks jene Bereiche weiter zu entwickeln und nachzubessern.
Der „Quality Award“ aus Sicht von PraktikerInnen
Vier VertreterInnen verschiedener Mentoring- und Befriending-Projekte berichteten am zweiten Workshop-Tag von ihren Erfahrungen mit dem Prozess auf dem Weg zum Erhalt des „Quality Awards“. Auf diese Weise konnten die Anwesenden erfahren, wie Standards für die unterschiedlichen Arbeitsfelder als Kriterienkatalog formuliert wurden und welche Arbeit darin steckt, diese zu implementieren bzw. nachzuweisen. Ein dicker Akten-Ordner voller Formulare und Arbeitsblätter, den die Organisationen dafür bearbeiten mussten, machte das sichtbar. Die vier eingeladenen ProjektleiterInnen machten aus dem zu leistenden Arbeitsumfang auch keinen Hehl: Es brauche viel Zeit und viel Detailarbeit, bis alle Aspekte erfüllt und umgesetzt seien. So groß die Mühe, so groß sei andererseits auch der Gewinn, lautete die übereinstimmende Aussage der Berichtenden. Der Akkreditierungsprozess fordert Selbstreflexion, Abstimmung und Fixierung des eigenen Vorgehens. Dadurch wird aber auch mehr Sicherheit und Zufriedenheit nicht nur bei den Freiwilligen oder bei Geldgebern, sondern allem voran auch bei den Projektmitarbeitenden selbst geschaffen. Diese erleben durch die Auseinandersetzung mit den Qualitätsstandards und durch das Feedback der Dachorganisationen eine Bestätigung und Wertschätzung ihrer Arbeit, was ein zentraler Schritt für die weitere Professionalisierung der eigenen Praxis sei. Darüber hinaus bietet ein derartiges Qualitätssiegel Vorteile bei der Projektmittelakquise und beeinflusst bereits jetzt positiv die schottische Förderlandschaft.
Welche Maßnahmen eine qualitativ hochwertige Arbeit ausmachen, darüber bestand ebenso weitgehend Einigkeit. Außerdem wurde deutlich, dass es sinnvoll ist Qualitätskriterien in manchen Bereichen und im Hinblick auf manche Zielgruppen zu differenzieren. Patenschaften für traumatisierte Kinder etwa bedürfen einer anderen Begleitung als das Mentoring, das der schulischen Nachhilfe dient.
Was wir für die Qualitätsdiskussion in Deutschland lernen
Die Mitglieder des Netzwerks Berliner Kinderpatenschaften waren von der Arbeit der beiden schottischen Dachorganisationen beeindruckt, da sie auch das gesellschaftliche Interesse und die Akzeptanz für das „Eins zu Eins“ – Modell in Schottland widerspiegeln. Dies lässt die Berliner Netzwerker auf eine positive Entwicklung in deutschen Landen hoffen. Noch gibt es in Deutschland auf nationaler Ebene keine vergleichbaren Serviceeinrichtungen wie jene in Schottland. Die deutsche „Aktion zusammen wachsen“ war ein erster guter Schritt: Im Auftrag von der Bundesbeauftragten für Integration wurden fünf regionale Serviceagenturen und eine Bundesserviceagentur betrieben und über diese in Fachkonferenzen, Weiterbildungen und mit Hilfe von Publikationen eine landesweite Diskussion über Qualität angeregt. Allerdings gab es dieses Angebot in dieser Breite nur von 2008 bis 2011. Seither arbeitet nur noch die Bundesservicestelle in Köln, mit verminderten Ressourcen und Aktivitäten.Allerdings erfuhr diese Entwicklung keine Verstetigung. Zwar sind nach wie vor Handbücher und Leitfäden zu verschiedenen Elementen der Patenschaftsarbeit erhältlich, es fehlen jedoch Strukturen, die Qualitätsprozesse motivieren, begleiten und kontrollieren. Nichtsdestotrotz findet in Deutschland eine lebendige Diskussion um Qualität in Zusammenschlüssen statt, die von Patenschafts- und MentoringkoordinatorInnen selbst organisiert sind. Beispiele hierfür sind das „Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften“ oder der Hamburger „Mentor.Ring“. Hier wird das Thema Qualität in kollegialer Beratung, in Qualitätszirkeln und gemeinsamen Erklärungen bearbeitet und thematisiert. In diesen meist rein ehrenamtlich funktionierenden Arbeitszusammenhängen wird ein beachtlicher Beitrag zur Qualitätssicherung und -entwicklung geleistet, weil hier kooperativ und freiwillig an der Verbesserung der jeweiligen Angebote gearbeitet wird. Die Existenz derartiger Zusammenschlüsse zeigt die große Bereitschaft auf praktischer Ebene sich dem Thema Qualität zu stellen.
Diese Bereitschaft alleine ist allerdings nur eine wichtige Komponente in der Qualitätsdiskussion: Die Qualität eines Paten- und Mentoringangebots entsteht in der Wechselwirkung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Die Möglichkeiten von KoordinatorInnen Prozesse und Ergebnisse zu optimieren, hängt eng mit der Strukturfrage zusammen. Erhalten sie überhaupt eine längerfristige Perspektive, ihr Angebot durchführen zu können oder müssen sie sich von Jahr zu Jahr, von Projektantrag zu Projektantrag „durchhangeln“? Erhalten sie Ressourcen in Form von Beratungsservice, Weiterbildungs- und Austauschmöglichkeiten? Erhalten sie Anreize, beispielsweise in Form eines Awards?
Für einen deutschen „Quality Award“, so die einhellige Meinung der deutschen Reisegruppe, fehlen zur Zeit (noch) drei wichtige Voraussetzungen: erstens ein klares Bekenntnis zum „1 zu 1“- Ansatz auf Bundes- und Länderebene, zweitens längerfristige Finanzierungsmöglichkeiten von Mentoring- und Patenschaftsangeboten und drittens Serviceorganisationen mit Personal, das sich um die Belange der PraktikerInnen kümmert und gleichzeitig anspruchsvolle Qualitätsmaßstäbe setzt.
Mögliche Schritte auf europäischer Ebene
Das Edinburgher EMBEP-Treffen sollte weiterhin ausloten, inwieweit länderübergreifend Qualitätssiegel und -standards entwickelt werden sollten bzw. sinnvoll sind. Ein Vorteil hierbei: Wenn Mentoring/Patenschaften und die Qualität solcher Programme auf europäischer Ebene thematisiert würden, könnte dies auch die Arbeit der Mentoring/Patenschafts-Akteure in den einzelnen Ländern aufwerten und dadurch voranbringen. Kritisch eingewandt wurde, dass ein Gütesiegel-Verfahren auf europäischer Ebene sehr aufwändig wäre, allein schon im Hinblick auf die sprachliche Umsetzung desselben. Hingegen sei ein gemeinsamer europäischer Rahmen für Qualitätsstandards denkbar und zu befürworten. Dieser könnte dann auf nationaler oder lokaler Ebene Teil eines Güte-Siegel-Verfahrens werden. Zudem wurde vorgeschlagen, der länderübergreifenden Qualitätsinitiative ein ‚mission statement‘ vorangehen zu lassen. Die Formulierung einer gemeinsamen Mission würde einerseits ein wichtiges Fundament der intensiveren, grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Mentoring- und Patenschafts-akteurInnen darstellen. Andererseits kann auf diese Weise das Potenzial verdeutlicht werden, das Mentoring und Patenschaften für die Bildung, Integration und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger Europas bietet. Mit dem Europa-Projekt EMBEP ist man auf einem wichtigem und dem richtigen Weg.
Rahmenbedingungen des Treffens
In der Mentoring-Forschung wird oft betont: Die Wirksamkeit des Förderinstruments steht und fällt mit der Qualität der Beziehung der Beteiligten. Überträgt man diesen Befund, werden die EMBEP-Partner in Zukunft noch viel gemeinsam leisten können! Denn die Atmosphäre der Treffen ist freundschaftlich und mitreißend. In Schottland erfuhren die TeilnehmerInnen eine unnachahmliche Gastfreundschaft, eine hervorragende sowie abwechslungsreiche Organisation und eine so freundliche und umsichtige Begleitung. So konnte intensiv zusammen gearbeitet, wechselseitig inspiriert und bei all dem immer auch herzlich gelacht werden. Besonders beneiden die Berliner Gäste nicht nur die gut ausgestattete Netzwerkarbeit und die Serviceeinrichtung in Schottland, dessen Modell sie gern auch in eigene Breitengrade übertragen würden. Daneben genossen sie auch deren Kultur der humoristischen Auflockerung, die den Einstieg in Arbeitsprozesse beflügelte. All das funktionierte auch ganz ohne Whiskey oder Scotch Ales – von deren Qualität die teilnehmenden Gäste sich dann zu späterer Stunde auch noch überzeugen konnten.
Weiterführende Links:
Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften e.V, Ansprechpartner: Florian Stenzel, Tel.: 030 – 467 30 943, Mail: f.stenzel@kipa-berlin.de, Web: www.kipa-berlin.de
Blog des European Mentoring & Befriending Exchange Programmes (EMBEP): www.embep.eu
Mentor.Ring Hamburg, Ansprechpartnerin: Arzu Değirmenci Pehlivan, Tel.: 040 – 361 38-746, Mail: arzu.pehlivan@asm-hh.de, Web: www.mentor-ring-hh.de/
Befriending Networks, Scottland/UK , Ansprechpartnerin Liz Watson, Mail: info@befriending.co.uk, Web: www.befriending.co.uk
Scottish Mentoring Network, Scottland/UK, Ansprechpartner: Iain Forbes, Mail: iain@scottishmentoringnetwork.co.uk, Web: www.scottishmentoringnetwork.co.uk
Autoreninformation:
Bernd Schüler, Soziologe und Politikwissenschafler (M.A.) ist freier Journalist, u.a. mit Publikationen und Vorträgen zur wissenschaftlichen Forschung über Mentoringbeziehungen. Er ist Gründungsmitglied des ersten Berliner Patenschaftsvereins biffy Berlin e.V. (2004) und des Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften e.V. (2012). Bei beiden Vereinen unterstützt er die Öffentlichkeitsarbeit.
Florian Stenzel, Diplom-Pädagoge, ist seit 2009 Mentoring-Koordinator und arbeitet aktuell beim Berliner Mentoringverein kein Abseits! e.V.. Er ist seit Gründung des Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften e.V. im Jahr 2012 als Vorstandsmitglied aktiv.